Im Gegensatz zu Fussball ist Bergsteigen eine defensive Sportart. Wer beim Fussball gewinnen will muss ein Goal erzielen.
Wer beim Bergsteigen gesund nach Hause zurückkehren will sollte wenn immer möglich kein Goal erhalten.
(Zitat © by Stefan Wullschleger)









Freitag, 14. Juni 2019


Everest – tragisch und unglaublich…

Tragisch und unglaublich!...
Genau das schrieb mir meine Nichte, die mit Bergsteigen wenig Berührungspunkte hat, in einem Whatsapp an mich und hängte noch das Bild vom Stau am Gipfelgrat, dass um die Welt ging, an.

  
Das gab und gibt mir immer noch zu denken!
Das Entsetzen und der Aufschrei um die Tragödie von 11 Todesopfern in einer Saison ist gross. Die Wahrnehmung dazu in der breiten Öffentlichkeit ist sehr verzerrt, natürlich leistet da die meist sehr undifferenzierte Berichterstattung in den Medien noch gewaltigen Vorschub. Doch wirklich hinterfragen warum und wieso mag niemand. Ein markanter Kurswechsel der Bewilligungspolitik ist umgehend nicht zu erwarten. Das Bild klagt möglicherweise (?) an, gibt aber keine Lösungen.
Ich erlauben mir ein paar Gedanken dazu - bewusst mit dem Risiko eventuell einen «Shitstrom» auszulösen.

Tragisch – Ja!
Immer bei Todesopfern, jedes einzelne dieser Schicksale, gleich unter welchen Umständen, hat seine traurige Geschichte.
Persönlich habe ich aber meine Zweifel ob sich wirklich jeder der sich darauf einlässt weiss, wie es dort oben zu und hergeht und sich der Risiken wirklich bewusst ist, auf die er sich einlässt?! Ein gute Portion Blauäugigkeit, ja Nonchalance scheint da schon im Spiel zu sein.

Unglaublich – Ja und nein!
Es ist zu befürchten, dass es wahrscheinlich noch viel schlimmer ist, als das Bild darstellt! Hektik, Stress und Angst, kurz vor oder nach dem potentiellen Lebensziel!
Ueli Steck und Simone Moro haben sich mit Sherpas geprügelt – wann kommt es zur ersten Prügelei im Stau am Gipfelgrat oder um Sauerstoff. Man braucht nicht viel Fantasie um sich weitere Konfliktszenarien auszudenken…

Aber in erster Linie ist es einfach nur eines - pervers!
Wirklich genau hinsehen ob all die Bergsteiger, die sich am Everest für unglaublich viel Geld (zwischen Fr. 65000.- und Fr. 100000.-) tummeln, wirklich den Anforderungen gewachsen sind will niemand. Ein übles Business mit dem potentiellen Tod vor Augen.
Kommerzielle Anbieter und die Regierungen von Nepal und China verdienen damit viel Geld! Als hehres Argument wird die Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung gelten gemacht. Diese verdienen vergleichsweise wenig für Ihren risikoreichen Job und müssen den meist überforderten, überehrgeizigen und zu unerfahrene Bergsteiger, oft auf Biegen und Brechen, zu Gipfelerfolg verhelfen – schliesslich müssen ja die Erfolgsquoten für die Anbieter stimmen.

Zusehen wird man dem Geschehen wohl nicht mehr lange.
Was folgen wird ist absehbar - nominelle Restriktionen werden folgen, mit der Konsequenz dass die Bewilligung noch teurer wird. Ob das zu mehr Sicherheit führt sei dahingestellt, denn nicht jeder zahlungskräftige Bergsteiger ist automatisch ein für den Everest mündiger Bergsteiger.
Es ist in erster Linie Mord am kreativen Alpinismus, und das nicht erst seit gestern! Viele junge und wirklich fähige Alpinisten können und wollen sich diese Unsummen nicht leisten und weichen auf unbekannte Ziele aus. Die herausragenden Leistungen im Höhenbergsteigen im letzten Jahrzehnt wurden die wenigsten an den 8000er vollbracht, geschweigen dann am Everest

Was könnte man anders machen?
Restriktionen wie Verbot von Höhenträger und dass jeder der auf den Everest will, mindestens vorher schon ausgewiesenermassen einen anderen 8000er bestiegen haben muss, wären sinnvoll. Mit diesen Massnahmen wäre wohl der «Verkehr» am Berg um gefühlte 90% reduziert.
Viele Bergsteiger betonen immer wieder das Ihr Tun eben doch noch mehr als nur Sport ist. In diesem ethischen Konsens, wäre es nicht mehr als fair auf künstlichen Sauerstoff zu verzichten. Ein Verbot von künstlichem Sauerstoff Everest (…und auch an allen anderen 8000er…) wäre eine weitere mögliche Restriktion mit weitreichenden Konsequenzen.
Seit den Ersten, Reinhold Messmer und Peter Habeler (1978), waren es ca. 250 Bergsteiger die es auch ohne künstliche Sauerstoff auf den Gipfel des Everest geschafft haben. Das wäre Durchschnittlich pro Saison 7 Personen.
Eine Goldmedaille an olympischen Spielen gewinnt schliesslich auch nicht jeder und verlangt einen jahrlangen, minutiösen Einsatz. Kaufen kann man sie sich auch nicht.
Der Everest hätte so die ihm gebührende Würde und Ernsthaftigkeit zurück und deutlich weniger Müll wäre noch die wünschenswerte Nebenerscheinung.

Nur wer will das wirklich?
Realistisch gesehen wird sich weder die eine noch die andere meiner doch sehr idealistischen Ideen durchsetzen - zu gross ist die Lobby für das Business.
Sind am Everest Seriosität; Risiko und Geld im Gleichgewicht?
Ein tief ethische Frage zum leider angekratzten Mythos Everest - «The rest is silence»
Everest - der Gipfel der Perversion oder wie es meine Nicht formulierte, Vergewaltigung des Berges - unglaublich, vielleicht, aber wirklich tragisch!


Stefan Wullschleger